Im Bus nach Mostar
23.07.2005

Wir verlassen Sarajewo gen Mostar über die Autobahn und jenseits unserer Reichweite verschwinden die Hänge, die die Stadt einschlieβen unter schweren Wolkenfeldern, die zäh über die Berge kriechen, über uns blauer Himmel.
Linkes Fenster: Baustellen, die einen Boom fast wie zu Gründerzeiten versprechen.
Rechtes Fenster: eine ausgeschlachtete Busleiche.
Kontraste – wohl das Wort, das jedem von uns als erstes einfallen wird, wenn wir über diese Reise berichten sollen...
Zurück zur Panoramaansicht: Bahnanlagen mit rostenden Waggons, davor ein Stand mit Melonen, ein paar Meter weiter werden Kupferkessel verkauft, und dann wieder diese atemberaubende Landschaft. Unser Übersetzer Muhamed meint, die Menschen hier haetten dafür gar kein Auge, was ich mir nicht vorstellen kann.
Zwanzig Masten mit wehenden OBI-Fahnen kündigen eine bessere Welt an, gefolgt von einer roten Litfaβsäule, die „Coca Cola“ in die zerschossenen Häuser im Hintergrund hineinschreit. Und wieder eine Baustelle für eine neue Moschee. Die Miljaka sieht hier drauβen nicht so verdreckt aus wie in Sarajewo. Eine Wiese mit aufgetürmtem Heu wird von einem gläsernen Palast der „Ismir“-Company überflügelt. Selimovic-Tanken - da hat unser Busfahrer mit seiner heissgeliebten Shell-Karte wohl keine guten Aussichten auf Bonuspunkte...
Eng schmiegt sich die Bahnstrecke neben uns an die steilen Wände der grünen Bergschluchten. Im Bus summen die Stimmen, kleine beständige Anschläge auf den Saiten einer Akustikgitarre, vor allem die Stimmen unserer Mitreisenden – junge Journalisten aus Serbien-Montenegro, Kroatien und Bosnien-Herzegowina – passen in die vorbeiziehende Welt hinter dem Fenster. Das Genudel aus den Lautsprechern passt schon weniger, aber das spielt keine Rolle.
Wie schnell wir uns an dieses Bild gewöhnt haben, das sich dort am Bus vorbeidrängt. Ich frage mich, ob wir auch so schnell in unsere eigene Realität in Deutschland zurückkehren werden können... Wenigstens wissen wir jetzt, dass es noch eine andere gibt.

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