Zurück nach Sarajevo
21.07.2005

Sarajevo?
- liegt das nicht in Jugoslawien
- war da nich ma ‘ne Winterolympiade?
- da is doch Krieg oder?
- haste keine Angst
- alles vermint und saugefährlich
- belagerte und zerschosseneStadt
- was willsten da?
Eine kleine Auswahl der Antworten, Fragen und Meinungen von Leuten, die letztes Jahr von meiner geplanten Reise in die Hautstadt von Bosnien und Herzogowina, der vergessenen Partnerstadt Magdeburgs, erfuhren.
Viele gute Eindrücke aber auch Fragen brachte ich von dieser Reise mit und konnte mit meinen Schilderungen die jungen Medienmacher Sachsen-Anhalts überzeugen, sich diese Stadt und das Land anzuschauen. Im letzten Jahr sind wir von einem offiziellen Termin zum anderen gehetzt, haben viel zu wenig Zeit gehabt, eigene, private Eindrücke zu sammeln.
Diesmal ist hoffentlich “mehr drin”.
So komme ich also zum zweiten mal in eine der geschichts- und kulturreichsten Städte Europas.
Mit mir reisen 24 junge Menschen, die dieses Land kennenlernen und darüber berichten wollen.
Vielleicht eine Möglichkeit finden, beim Aufbau zu helfen, die Stadt und das Land wieder zu dem zu machen, was es lange Zeit war:
Ein kultureller Schmelztiegel und eine Beispiel für das friedliche Zusammenleben verschiedener Kulturen und Religionen.

Kein Krieg, den Bosniaken, Serben, Kroaten, Makedonier, Jugoslawen, Albaner gegeneinander geführt haben, sondern ein Krieg, den Europa und die USA gegen dieses Land geführt haben. Die angeblich zivilisierte Welt hat jahrelang einem Völkermord zugeschaut, hat zugesehen wie Frauen und Kinder vergewaltigt und ermordet wurden, und das im schrecklich wahren Sinn des Wortes.
Lasst uns über das heutige Leben in diesem Land berichten und nicht über den vergangenen Krieg sagte ich den Teilnehmer/innen vor der Reise. Aber dies wird sich als unmöglich herausstellen. Zu sehr sind die materiellen und menschlichen Folgen dieses Wahnsinns präsent.
So steigen am 18. Juli 2005 25 Menschen am Magdeburger Busbahnhof in einen Reisebus und machen sich auf nach Sarajevo. Nicht ganz unvorbereitet. Bereits im März haben sich die meisten auf einem im Magdeburger Medientreff zone! kennengelernt. Auch ein paar “alte Sarajevoer Hasen” sind dabei.
Kurz nach 09.00 Uhr geht’s los. Sonniges Wetter und gute Laune begleiten uns. Die Fahrer, Falko und Wilfried, stellen sich und die “Busreiserahmenbedingungen” vor. Erster Stop gegen 13.00 Uhr zwischen Nürnberg und München, um in einem Fastfoodtempel zu dinieren.
Weiter geht’s in Richtung Österreich. Hier empfangen uns Regen, Nebel und Berge, Berge, Berge.
Nächster Stop gegen 20.00 Uhr kurz vor der österreichisch-slowenischen Grenze. Großes Parkplatz-picknick, leider keine Bänke oder Tische, also Stehbankett.
Vor dem Tauerntunnel kurze Kontrolle der “zuständigen Organe”.
Slowenien durchfahren wir im Dunkeln.

Kurze Pinkel- und Raucherpause kurz hinter der slowenisch-kroatischen Grenze. Auch hier gab es keine Schwierigkeiten. Urlaubserinnerungen an die Adriaküste der Insel Krk: freundliche Menschen, herrliche Landschaft, gutes Essen, guter Wein, Entspannung.
Gegen 02.00 Uhr Kontrollen an den kroatisch-bosnisch und herzegowinischen Grenzstellen. Dann schlafen die meisten ein.
Mit der Dämmerung die ersten visuellen Eindrücke unseres Reisezieles.
Es gibt vieles zu sehen, aber am stärksten wirken zerschossene, ausgebrannte Häuser, ein umgestürzter, vor sich hinrostender Güterzug. So werden für die meisten Mitfahrer/innen Medienbilder zur Realität. So ähnlich muss Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg ausgesehen haben. “Nie wieder!” war einer der meistbenutztesteten Sprüche. Und dann schaut am Ende des 20. Jahrhunderts die gesamte zivilisierte Welt gleichgültig bei der Wiederholung zu.
“Die Untätigkeit der Welt angesichts des Massenmordes in Bosnien ist der posthume Sieg für Hitler”, dies sagt uns Marek Edelmann, der letzte überlebende Kommandant Warschauer Ghettos (In: Cheryl Bernhard, Edit Schaffer, Vor unseren Augen, München 1993), dem kann ich mich nur anschließen.
Am 19. Juli 2005 gegen 09.00 Uhr, erreichen wir nach 24-stündiger Reise unser Ziel.
Das Studentenwohnheim finden wir Dank unseres mitgereisten erfahrenen Navigationsteams im ersten Anlauf.
Weit über den Dächern, auf einem der Hügel Sarajevos gelegen. Der steile Anstieg wird in den kommenden Tagen immer wieder zum Wachstum unserer Beinmuskulatur beitragen.
Alle sehnen sich nach einer Dusche und einem Bett.
Leider sind die Zimmer noch nicht bezugsfertig, also frühstückt der müde Trupp auf den Bierzeltgarnituren, die im Innenhof angeschraubt sind.
Danach erhielten wir die Zimmerschlüssel und viele Leute den ersten Schreck.
Warmes Wasser gibt es nur von 07.00 bis 09.00 Uhr und von 17.30 Uhr bis 19.30 Uhr. Als Ausgleich dafür dürfen wir für die Dauer unseres Aufenthaltes die “Stehtoiletten” benutzen.
Einigen wird es gelingen, ihre Notdurft nur in besser ausgestatteten Restaurants und Institutionen zu verrichten.
Also kalt duschen, ein wenig ausruhen und einen ersten Spaziergang durch Sarajevo.

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