Gestern Abend habe ich mich in mein Bett gelegt, unter die weiche Decke, aufs komfortable Kissen. Ich hab mich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt. Alles war gut, alles war still, ich hätte
auf der Stelle einschlafen können.
Ich hatte gebadet, wollte die vergangenen zwei Reisetage vergessen, Müdigkeit und Unbehagen abspülen. Das Licht im Bad funktionierte nicht. Es war einem Wasserrohrbruch vor ein paar Tagen zum Opfer gefallen. So stellte ich überall Kerzen auf, zu viel westlicher Luxus hätte das Bad wohl verdorben. Das viel zu heiße Wasser machte mich schläfrig.
Keine Eile, niemand der darauf wartete, als nächstes dran zu kommen, keine Angst, dass in einer halber Stunde nur noch kaltes Wasser aus der Leitung kommen würde. Wenn unsere Übernachtungsplätze im Studentenwohnheim perfekt gewesen wären, mit Dusche auf dem Zimmer, mit warmen Wasser vierundzwanzig Stunden lang, mit Strom aus jeder Steckdose, mit Toiletten zum drauf setzen, mit richtigen Bettbezügen, dann hätten wir nichts gelernt. Dann hätten wir unsere Wohnungen, unsere Bäder, unsere Privatsphäre nie zu schätzen gewusst. Ich mag und verachte diese Erfahrung.
Wie muss es den Menschen im Krieg gegangen sein? Wie müssen sie gelitten haben? Kein Wasser, kein Strom, kein Bett, kein Schutz. Wir haben es nicht selbst erlebt, wir können es nicht einmal nachvollziehen, aber schon die Verhältnisse im Studentenwohnheim haben unsere Grenzen aufgezeigt. Wie hätten wir reagiert, wenn plötzlich wieder Krieg gewesen wäre? Schraubt man seine Erwartungen herunten, wenn man weiß, dass Krieg kommt, oder leidet man genauso, oder vielleicht noch mehr?
Jetzt sind wir wieder zurück, ein jeder Zuhause in seinem Bett, mit Familie, Schutz und Geborgenheit. Doch was nutzt das schon? In meinem Kopf ist Krieg, in meinen Gedanken herrscht Sarajevo. Noch viel schlimmer muss es denn UN-Soldaten gegangen sein, die da waren, in Bosnien-Herzegowina. Sie erlebten die Morde, die Ungerechtigkeit, den Wahnsinn. Was sollten sie ihren Familien erzählen, als sie wieder Zuhause waren? Was davon kann man vermitteln, wie erklären?
Meinem Vater habe ich zwei Flaschen Sarajevska Bier mitgebracht; wie ein Souvenir aus Italien. Etwas, aus einem schönen Urlaubsland, woran man gern denkt, wohin man zurück möchte, was man noch einmal erleben möchte. Wie soll ich ihm meine Eindrücke erklären? Was kann ich sagen, ohne melodramatisch, unglaubwürdig zu wirken? Wie kann ich die Wahrheit sagen, ohne zu lügen? All die geschossenen Bilder sagen so wenig aus, wenn man es nicht selbst gesehen hat. Wir haben Tausende davon, doch nicht eins erklärt die Unruhe in mir.
Vier mal bin ich aufgewacht in der Nacht. Vier mal zurück aus Sarajevo. Was ich möchte, ist Frieden. Frieden in meinem Kopf, um zu ordnen, um zu schlafen, um zu helfen. Um zu schreiben, wie es wirklich war. Um zu sagen: Ich bin nicht mehr wie noch vor zehn Tagen.