Wanderung zu den Anhöhen
25.07.2005

Es ist heiß. Und die Straße steigt steil und steiler an. Sie führt durch die Häuser, die an den Hang gebaut sind, vorbei an kleinen Lädchen, Wohnhäusern, gelegentlichen Kneipen, Moscheen. Jeder größere Abschnitt, den man zurücklegt, gibt stückweise immer mehr von dem wundervollen Panorama der im Tal liegenden Stadt frei. Doch bis jetzt bleibt dieses Panorama nur leise Ahnung. Wir wollen weiter hoch. Unser Führer heißt Admir. Er ist Bosnier und mit seinen 16 Jahren der Jüngste in der Gruppe. Zufällig haben wir ihn kennengelernt und heute will er uns zu den ehemaligen Stellungen der Serben, auf den Berghöhen, führen. Er spricht besser deutsch als bosnisch. Vor zehn Jahren sind er und seine Familie aus Sarajevo vor dem Krieg nach Berlin geflohen. Nun ist er zum ersten Mal seit seinem Weggang wieder hier in der Heimat., um seine unzähligen Verwandten wie Oma, Opa, Tanten, Onkel, Cousin und Cousinen zu besuchen.


Wir sind immer noch innerhalb der Wohngebiete, doch zwingt uns die Hitze zu einer ersten längeren Pause, in der wir uns mit einem weiten Blick auf einen Teil der Stadt und kühlem Wasser aus einen Brunnen erfrischen. Admir und ich nutzen die Pause, um einen kleinen Abstecher zu seinen Großeltern zu machen. Wir möchten Handtücher holen mit denen wir den Schweiß des nahenden Aufstiegs bekämpfen wollen. Schon vom Balkon aus werden wir begrüßt. Nachdem wir um das Haus gelaufen sind, treffen wir auf Admirs Oma, die uns an der Tür willkommen heißt. Mein Begleiter übersetzt die Begrüßungen und auf die Frage, wie es mir geht antworte ich selbst mit: „Dobre“ (Gut). Die Großmutter lacht und freut sich. Ich freue mich auch über die Unverkrampftheit und Herzlichkeit mit der ich hier begrüßt werde. Wir gehen ins Haus hinein. Dort schüttle ich die Hände des Großvaters und einiger Cousins, die gerade auf dem Balkon Kaffee trinken. Admir schnappt sich die Handtücher und wir verabschieden uns. Kurz bevor wir zu den Anderen zurückkehren, zeigt er mir noch das Obergeschoß des Hauses. Dort werden Gästezimmer und ein Aufenthaltsraum mit Bar gebaut. Mitten zwischen den Baugeräten und Zementsäcken steht an die Wand gelehnt eine Panzerfaust. Augenscheinlich mit dem Umgang vertraut, nimmt Admir sie in die Hand, zieht sie aus und klappt das Visier auf. Es sieht aus, als ob ein Sechzehnjähriger mit einer Spielzeugwaffe hantiert. Auf man Frage, ob die Panzerfaust echt und funktionsfähig sei, antwortet er: „ Ja, mein Cousin hat damit schon im Wald geschossen.“


Wieder bei den Anderen, mit den Handtücher ausgerüstet, geht der Marsch weiter. Noch laufen wir durch bewohntes Gebiet. Ab und zu geht die Hand und das Wort zum Gruß an einen der vielen Verwandten oder Bekannten Admirs. Wenn wir fragen, was sie sich erzählen, antwortet er: „ Sie sagen wir sollen vorsichtig sein, wenn wir hoch gehen“.
Langsam werden die Häuser weniger und der Blick wird auf eine wunderdschöne Natur gelenkt. Steinige, bewachsene Hänge recken sich gegen den blauen Himmel. Grüne Tannenwälder versprechen erfrischenden Schatten. Und im Rücken, die Gewissheit eines einmaligen Blickes auf die Stadt. Nach einem felsigen Schlängelpfad zerstört ein rotes Schild, dass an einem Baum angebracht ist die idyllisches Harmonie: „Minen!“. Ab jetzt folgt man besser nur dem vorgegebenen Pfad. Man erkennt, dass zwischen den Wäldchen Erdgräben, verlaufen. In ihnen haben sich die Soldateneinheiten bewegt. Man sieht, dass viele Bäume abgeholzt sind. Ihr Holz diente zum Stellungsbau. Einzelne Häuser, ausgehöhlt, mit Parolen beschmiert, säumen den Weg. Auch sie wurden bestimmt als Stellungen gebraucht.


Auf einen Bergrücken machen wir eine letzte Pause. Nun blicken wir nicht auf die Stadt, sondern auf Wälder, Berge und Täler. Dazu eine Ruhe, wie wir sie seit Tagen entbehrt haben. Diese Stille, diese Natur, das Wetter. Es scheint als wollten sie uns alle beflissen überreden: „Vergesst eure Reportagen, eure Notizen, eure Gedanken. Nehmt einen Rucksack, ein paar feste Schuhe und kommt. Kommt und lernt die Schönheit dieses Landes kennen.“ Nach einem kurzen Fußweg sind wir am Ziel angekommen und werden mit einem fantastischen Blick auf die Stadt belohnt. Weit hinten kann man die Neubausiedlungen erkennen, dann immer näher zu uns hin die Innenstadt, das Zentrum, die Altbauten. Wir erblicken zum ersten mal das Stadion, in dem die olympischen Winterspiele 1984 eröffnet worden sind und die darum verteilten Sportstätten. Die Sonne scheint grell und gießt ein helles Licht über die Stadt. Die Luft flimmert durch die große Hitze. Wir blicken weiter auf das Panorama. Hinter dem Sportgelände scheint ein riesengroßes weiß-grünes Feld zu liegen. Mehrere große Hauptwege ziehen sich hindurch. Kleinere Pfaden gehen von ihnen ab. Wir strengen unsere Augen an, um es genauer zu erkennen. Und plötzlich bemerken wir, es ist keineswegs ein Feld, sondern ein riesiger Friedhof.

Nachricht an den Autor

 
 

2005 - Sarajevo ::: 2007 - Vietnam