Kehrseite
29.07.2005

Nein, so richtig hier bin ich noch nicht. Eher kommt es mir so vor, als würde ich mal eben schnell bei Freunden und Familie vorbeifahren um kurz „Hallo“ zu sagen. Nicht aber, als wäre ich zurück in meiner „Heimat“.

HEIMAT, was ist das eigentlich? Es heißt, man müsse erst längere Zeit woanders gelebt haben, um erkennen zu können, was sich hinter dem Heimatsbegriff wirklich verbirgt. Anderthalb Wochen Sarajevo scheinen für dessen Erklärung noch lange nicht zu genügen.

Ich bin also hier, sage „Hallo“ und bin dann auch schon wieder weg. Ich kann mir nicht vorstellen, mein heutiges Tagesende auf dem Merseburger Saale-Steg zu verbringen; Nein, vielmehr sehe ich mich - wie an den vergangenen Abenden - 400 Meter entfernt vom Studentski Centar auf einem verwilderten Parkplatz, der als Aussichtsplattform über die Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas dient.

Ein Platz, den nachts der Ruf des Muezzin erreicht, welcher die unmittelbar vorbeifahrenden Autos verstummen lässt. Ein Ort, an dem man von Sarajevos Lichterwald in den Bann gezogen wird und plötzlich alles für einen Moment hinter sich zu lassen scheint. Als würde man über allem stehen, wirkt von oben für einen Moment alles seltsam geordnet und anschaulich.

Doch alles hat zwei Gesichter, das wurde mir in den vergangenen Tagen klarer denn je. Denn zugleich befinde ich mich gedanklich an einem Ort, von dem aus es sich unschwer erahnen lässt, wo sich noch immer lebensgefährliche Minenfelder befinden. Ein Ort, von dem aus man genau nachvollziehen kann, an welchen Stellen die Soldaten gestanden haben, um die Stadt zu attackieren und über 10.000 Menschen in den Tod zu stürzen.

Vielleicht standen die Soldaten genau an dieser Stelle, an der wir uns Abend für Abend die Zeit mit Wein, Bier und Zigaretten vertrieben. Auf den Spuren des Krieges, im wahrsten Sinne der Worte.

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